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Edward St Aubyn: Melrose

Es sind die Stimmen im Kopf, die viel mehr sind als Stimmen. Denn Patrick Melrose führt einen inneren Kampf, bei dem es nicht nur darum geht, den nächsten Drogenkonsum sicherzustellen. Er muss sich mit den unterschiedlichen Personen, die er in sich trägt, auseinandersetzen, diskutieren und sie mit mehr oder weniger viel Alkohol zum Schweigen bringen. Oder eben durch unterschiedliche Drogen, die ihm außerdem helfen, tagsüber und vor allem in Gesellschaft einigermaßen zu funktionieren – also sich so zu verhalten wie es sich in der britischen Upper Class gehört.

Einer Schicht, die so oberflächlich ist wie ihre Mitglieder reich sind und obwohl Patrick dieser Schicht auch angehört, sind ihm all diese Konventionen zuwider. Das liegt auch daran, dass Patrick als Junge von seinem Vater zur Bestrafung und als Machtdemonstration immer wieder vergewaltigt wurde. Seine Mutter, die ebenfalls unter ihrem gewalttätigen Ehemann zu leiden hatte, lässt den sensiblen und intelligenten Jungen allein mit seinen traumatischen Erfahrungen und wird es bis zu ihrem Tod nicht schaffen, Patrick wirklich zu verstehen. Erst im Laufe seines Lebens gelingt es Patrick, sein Leben in den Griff zu bekommen und sich einzugestehen, dass er nicht mehr länger als einsamer Drogen- und Alkoholsüchtiger leben will und dass er seine Frau und seine beiden Jungen aufrichtig liebt.

„Oh Gott, es ging wieder los. Die endlosen Stimmen. Die einsamen Dialoge. Das fürchterliche Geplapper, das unkontrollierbar hervorquoll.“

Die fünf Romane, in denen Edward St Aubyn das Leben von Patrick Melrose erzählt, sind Bildungsromane – allerdings sind sie vom altbackenen und langweiligen Image, das dieser Gattung anhaftet, weit entfernt. „Schöne Verhältnisse“, „Schlechte Neuigkeiten“, „Nette Aussichten“, „Muttermilch“ und „Zu guter Letzt“, die der Piper-Verlag in einer schönen Ausgabe zusammengefasst hat, sind wie ein Gang durch das Labyrinth von Patrick Melroses Leben. Die Wege sind verschlungen, unübersichtlich, verwirrend und enden scheinbar in Sackgassen. Hat man als Leser aber die ersten Zeilen des ersten Kapitels des ersten Romans gelesen, möchte man das Buch am liebsten nicht mehr aus der Hand legen – und ist dankbar dafür am Ende eines Romans einfach umblättern und mit dem Lesen des nächsten weitermachen zu können.

„Das ist die Sorte von Leuten, von denen ich in meiner Kindheit umgeben war: harte, dumpfe Menschen, die mir damals hochkultiviert vorkamen und dabei so dumm wie Schwäne waren.“

Edward St Aubyn ist in Deutschland wenig bekannt – zu Unrecht, denn der britische Autor ist ein meisterhafter Erzähler, der die durch Rückblicke, Einschübe und Stream-of-Consciousness-Technik aufgefächerte Handlung souverän bündelt und den Leser nie allein lässt. Wer die Bücher nicht im englischen Original lesen kann oder mag, dem sei die vorliegende wunderbar übersetzten Ausgabe empfohlen, die dem Original durchaus ebenbürtig ist.

Foto: Petra Breunig

Edward St Aubyn: Melrose, Piper, 39 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.

Die Romane wurden mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle unter anderem von Sunny March für Sky Atlantic verfilmt und sollen 2018 zu sehen sein.
Den ersten Trailer dazu gibt es hier.

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