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Paul McCartney: 1964 – Augen des Sturms

Foto: Petra Breunig

Foto: Petra Breunig

Dass Paul McCartney schreiben kann, muss er nicht mehr beweisen. Dass er auch fotografieren kann, wird vielen neu sein. Denn die meisten der Aufnahmen, die der üppige Bildband „1964 – Augen des Sturms“ versammelt, sind bisher nie öffentlich gezeigt, geschweige denn gedruckt worden, sind sie doch das, was dem Fotoalbum einer Familie am nächsten kommt: Schnappschüsse, manche etwas verwackelt und unscharf, manche in ihrer Unmittelbarkeit so intim, dass man den Eindruck hat, das Geschehen durch ein Schlüsselloch zu beobachten. Es sind Aufnahmen von Freunden, die sich sehr lange kennen und die zufällig als die Beatles einen unfassbaren Erfolg haben.

„Der neue Wahnsinn begann in Liverpool.“

Das Geschehen, das sind drei entscheidende Monate in der Karriere der Beatles, die Zeit zwischen Dezember 1963 und Februar 1964, die Zeit, in der „vier talentierte Männer aus Liverpool“ für einen kulturellen Aufruhr sorgten und die Musik, aber auch die Gesellschaft für immer veränderten. Vor dem Hintergrund von Unruhen in Großbritannien und den USA begeisterten die Beatles nicht nur die Jugendlichen mit ihrer Musik – die für die ältere Generation an „triebhafte Stammestänze“ wie es in der Einführung des Buches heißt, grenzte – und die in der hysterischen Begeisterung vor allem der weiblichen Fans eine sexuelle Ekstase sah, die unerhört war. Und natürlich war die Musik keine Musik im klassischen Sinn, sondern voller „Dschungelrhythmen“, zu denen „instinkthaft urwüchsig“ getanzt wurde, wie die New York Times schreibt.

Dieses Beatlemania, wie die Begeisterung der Fans bald getauft wurde, zeigte sich natürlich auch auf der ersten Konzerttour der Band, die sie von Liverpool über London und Paris bis nach New York, Washington und Miami führte. Gleichsam nebenbei brachten die Beatles ihrem eigenen Land, aber auch der Welt bei, dass Liverpool und überhaupt der Norden Großbritanniens nicht nur düster, dreckig und die Region der Arbeiter und Schwerindustrie war.

„Heutzutage starren so viele nach unten auf ihre Handys, dass sie verpassen, auch einmal aufzublicken und sich mit dem zu beschäftigen und das wahrzunehmen, was ihnen begegnet.“

Die Fotografien, von denen zum Teil nur noch Kontaktabzüge, aber keine Negative mehr existieren, wurden vergrößert und geben so erstmals Details preis, die vorher nicht zu sehen waren. Sie öffnen nicht nur ein Fenster in die Zeit der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, in der der Tod des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy am 22. November 1963 einen entscheidenden Einschnitt markierte. Die Aufnahmen dokumentieren auch eine Zeit, die durch diese Fotos für immer eingefroren ist und mangels technischer Möglichkeiten wie nachträgliche Fotobearbeitung einen bestimmten Augenblick unmittelbar und unverrückbar festhalten. „1964“ ist ein wunderbarer Bildband, der Blicke hinter die Kulissen einer Band gibt, deren Einfluss auch heute noch spürbar ist. Über den Bereich der Musik und das Interesse von Fans hinaus ist der mit einer Einleitung von Paul McCartney, die vorab im Guardian erschienen ist, und einordnenden Kapiteln der Historikerin Jill Lepore und dem Direktor der National Portrait Gallery London, Dr. Nicholas Cullivan, auch ein historisches Dokument einer turbulenten Zeit.

Die National Portrait Gallery wird nach einer längeren Renovierung ab dem 28. Juni 2023 in einer gleichnamigen Ausstellung Paul McCartneys Fotos zeigen.

Die zweibändige 2021 ebenfalls bei C.H.Beck erschienene Ausgabe von „Lyrics“ ist eine wunderbare Ergänzung des Bildbandes.

Paul McCartney: 1964 – Augen des Sturms. Fotografien und Betrachtungen. C.H.Beck, 49,90 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.

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