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Colm Tóibín: Der Zauberer

Foto: Petra Breunig

Foto: Petra Breunig

Bücher haben nicht nur die wunderbare Eigenschaft, ihre Leserschaft in andere Welten zu transportieren. Sie können auch historische Personen zum Leben erwecken und so lebendig werden lassen, dass sie einem ans Herz wachsen. Thomas Mann, der große deutsche Schriftsteller, der im Dritten Reich zu einer Stimme aus dem Exil wurde und mit Hilfe der BBC-Radiosendung „Deutsche Hörer!“ von 1940 bis 1945 aus seinem amerikanischen Exil zu seinen Landsleuten sprach, begegnet man normalerweise ebenso ehrfürchtig wie distanziert. Dabei ist Thomas Mann, der 1929 vor allem für seinen Roman „Die Buddenbrooks“ den Nobelpreis gewonnen hat und seine Familie alles andere als langweilig.

„Als sein Roman erschien, war manchen klar, was er geleistet hatte. Doch aus Lübeck vernahm er, er beleidige die Stadt.“

Thomas musste erst einmal seine Eltern davon überzeugen, dass er wie sein älterer Bruder Heinrich, nicht nur Schriftsteller werden wollte, sondern auch das Talent dazu hatte. Entschlossen, diesen Weg beruflich einzuschlagen, wird Thomas Mann weltweit bekannt und kann auch recht bald vom Schreiben, dem er wie eine „normale“ Arbeit nach einem festen Zeitplan nachgeht, sehr gut leben. Vielleicht wäre er einer der führenden Intellektuellen Deutschlands mit entsprechendem Einfluss geworden, vielleicht sogar Politiker, hätten die Nazis nicht ihre Gewaltherrschaft angetreten. So aber sieht sich Thomas Mann gezwungen, seine Heimat zu verlassen.

„Während er zu Amerikanern nur im stockenden Englisch sprechen konnte, konnte er sich jetzt frei, auf Deutsch äußern.“

Ein Entschluss, den er im Vergleich zu anderen Schriftstellern recht spät trifft, was nicht nur an seiner schönen Wohnung sondern auch daran liegt, dass er als Schriftsteller viel mehr als Angehörige anderer Berufe auf die Sprache angewiesen ist, in der er schreibt, denkt und mit der er sein Publikum erreicht. Zwar lernt er schon zusammen mit seiner Frau Katia vor seiner Ankunft in den USA Englisch, doch er wird in dieser Sprache nie heimisch werden – vielleicht genauso wenig wie in der Ferne überhaupt.

„Er konnte sich Anständigkeit vorstellen, doch die war kaum eine Tugend in einer Zeit, die ruchlos geworden war.“

Colm Tóibín erzählt in „Der Zauberer“ (wunderbar übersetzt von Giovanni Bandini) das Leben Thomas Manns über die Zeitspanne von 1891 bis 1950. Was monumental und langatmig klingt, ist eine faszinierende Reise in die Gedankenwelt eines großen Schriftstellers, der es schafft, sich aus den Konventionen seiner Lübecker Kaufmannsfamilie zu lösen. Er ist aber unfähig, sich offen zu seiner Homosexualität zu bekennen, belässt es bei sehnsüchtigen Blicken und verarbeitet sie in Andeutungen in seinen Werken. „Der Zauberer“ – den Spitzname haben ihm seine sechs Kinder gegeben, weil er sie am Esstisch mit Zauberkunststücken unterhielt – ist trotz oder gerade wegen der 556 Seiten (der Taschenbuchausgabe) ein absolut lesenswerter Roman, der einer Biografie an einigen Stellen sehr nahe kommt.

„Es gab Tage, da dachte er an ein bestimmtes Buch und hatte sofort vor Augen, wo genau in seinem Arbeitszimmer es stand. Es nicht aus dem Regal nehmen zu können, machte ihn traurig, ja versetzte ihn manchmal sogar in Panik.“

Thomas Mann wird nahbar, der Roman verarbeitet Geschichte und mit ihr eine unglaubliche Fülle an Personen zu einem großen, farbigen Sittengemälde, das mich an die wunderbare Serie „Downton Abbey“ erinnert. Während aber dort in sechs Staffeln und zwei Filmen fiktive Figuren mit tatsächlichen historischen Ereignissen zurechtkommen müssen, schafft es Colm Tóibín historische Fakten so zu verarbeiten wie es nur große Erzähler können.

Colm Tóbín: Der Zauberer, dtv, 16 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.

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