Drittes Reich, Zweiter Weltkrieg, deutsche Besatzung – die Themen, die eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte beschreiben, sind vorhersehbar. Dennoch gibt es immer wieder Bücher, die überraschen, wenn sie sich genau mit diesen Themen beschäftigen. Überraschen, weil sie scheinbar Bekanntes aus einem anderen Blickwinkel angehen und weil sie so meisterhaft erzählt sind, dass man sie nicht weglegen kann und einem die Geschichte auch nach ihrem Ende noch lange in Erinnerung bleibt.
„Sie hört die Bomber, als sie bis auf fünf Kilometer herangekommen sind. Ein lauter werdendes Summen.
Das Rauschen in einer Muschel.“
„Alles Licht, das wir nicht sehen“ von Anthony Doerr ist zweifellos ein solches Werk, ein Werk, das mit banalen Sätzen beginnt, die aber gleichzeitig so einzigartig sind, dass sie wie aus dem Nichts wunderbare Bilder schaffen und den Leser gleichzeitig auf der Stelle hineinziehen in die Geschichte, die aus zwei Haupt-Handlungssträngen besteht. Da ist zum einen das blinde 16-jährige Mädchen Marie-Laure LeBlanc, das mit ihrem Vater vor den Deutschen aus Paris nach Saint Malo flieht. Zum anderen gibt es den Waisenjungen Werner Hausner, der zwar recht schwächlich ist, aber wegen seiner technischen Begabung zu einer Spezialeinheit der Wehrmacht kommt, die damit beschäftigt ist, feindliche Sender, hinter denen Widerstandskämpfer vermutet werden, aufzuspüren.
„Er zieht die Kellertür auf und hält einen Moment lang inne, sein Blick verschwimmt. ‚Ist es so weit?‘, fragt er. ‚Kommen sie wirklich?‘
Aber wer soll ihm darauf antworten?“
Wie die Schicksale der Hauptfiguren miteinander verknüpft werden und wie sich deren Leben vor dem Ende des Krieges und in der Zeit unmittelbar danach entwickeln, ist spannend, anrührend und niemals kitschig sentimental. Der amerikanische Autor Anthony Doerr ist für mich meine Entdeckung des Jahres.
Anthony Doerr, Alles Licht, das wir nicht sehen, C.H.Beck, 19,95 Euro