Die Antwort auf die Frage, ob es William Shakespeare tatsächlich gegeben hat (und wenn ja, ob er die genialen Stücke und Sonnette selbst geschrieben hat), füllt mindestens genauso viele Bücherregale wie die Auseinandersetzung mit dem Werk selbst. Vor allem wenn es um deutsche Dichter und Denker gibt. Denn die haben Shakespeare entweder als wahres Ungeheuer gesehen, das wahrhaft Unerhörtes und Unmögliches auf die Bühne brachte (Gottsched) oder ihn als Naturgenie gefeiert (Goethe in seiner Sturm-und-Drang-Zeit) und ihn dabei so weit als möglich vereinnahmt. Was schon mal in der Behauptung gipfelte, William Shakespeare sei viel mehr deutsch als englisch.
Was klingt wie eine Einführung in die Literaturwissenschaft mit zahlreichen Ausflügen in die Geschichte unterschiedlicher Epoche – und somit strohtrocken – ist ein lockeres, leichtes, aber niemals banales Lesevergnügen, das der großartige Shakespeare-Übersetzer Frank Günther mit „Unser Shakespeare“ vorlegt. Natürlich merkt man dem Buch an, dass Günther, der für seine Übersetzungen mehrfach ausgezeichnet wurde, Shakespeares Werke liebt und schätzt. Doch diese Wertschätzung ist niemals platt und übertrieben. Auch dann nicht, wenn er stichhaltig widerlegt, dass der kleine Shakespeare in der Grammar-School in Stratford-upon-Avon beispielweise mehr Latein lernte und mehr Werke klassischer Autoren gelesen haben musste als heutige Studenten der Altphilologie. Was ihm an Wissen über Justiz oder andere Länder gefehlt hat, das lernte er im elisabethanischen London seiner Zeit, das schon damals ein polyglotte Stadt war. Mit einer raschen Auffassungsgabe und einem guten Gedächtnis, das er als Schauspieler brauchte, ist es daher nicht zu weit her geholt wenn man davon ausgeht, dass Shakespeare so manche Redewendung in Pubs oder auf den Straßen aufgeschnappt und aufgeschrieben haben dürfte.
„Der Bildungskanon de Renaissance ist dem unseren so fern wie der Mond: Er umfasste kaum anderes als die alten Texte der römischen und griechischen Klassiker.“
Heraus kamen Werke, die bis heute gelesen und gespielt werden und die William Shakespeare zu Lebzeiten zu einem wohlhabenden Mann machten, der mit dem als Autor und Schauspieler verdienten Geld Häuser kaufte und kurz vor seinem Tod ein Testament verfasste – aber keine persönlichen Gegenstände oder Schriftstücke hinterließ. Der englischen Sprache vermachte er tausende Begriffe, indem er sie erstmals überhaupt festhielt und die seine Werke so einzigartig, aber nicht immer leicht verstehbar machen. Wer kein englischer Muttersprachler ist, hat zusätzlich zur Sprachbarriere auch noch den Sprung in Shakespeares Zeit zu überwinden.
Dieses Buch ist eine wunderbare Einladung, William Shakespeare neu oder wieder zu entdecken, gerade zu seinem bevorstehenden 400. Todestag.
Frank Günther: Unser Shakespeare, dtv, 9.90 Euro
(Das Buch wurde mir freundlicherweise von dtv zur Verfügung gestellt.)