Roseanne McNulty ist alt und legt Zeugnis ab über ihr Leben und auch darüber, weshalb sie in einer psychiatrischen Klinik in Roscommon ist. Nach und nach enthüllt sie in ihren Aufzeichnungen, ihrem „Selbstzeugnis“, ihr Leben, erzählt von ihrem Vater, den sie verehrt und von ihrem Mann. Doch ist sie wirklich zu unrecht eingewiesen worden? Oder ist sie eine Verbrecherin wie ihr behandelnder Arzt, Dr. Grene herausfindet? Am Leser ist es nun, aus den jeweiligen Aufzeichnungen der beiden schlau zu werden, sich seinen eigenen Reim auf die wirklichen Ereignisse in „Ein verborgenes Leben“ zu machen.
„Ich bin nur ein Überbleibsel, das Relikt einer Frau, und sehe auch gar nicht mehr so aus wie ein menschliches Wesen (…)“
Das ist nicht immer einfach, denn die scheinbar so oberflächliche und ruhig dahinplätschernde Sprache Sebastian Barrys, die Hans-Christian Oeser in einer sehr gelungenen Übersetzung vorlegt, verlangt die uneingeschränkte Aufmerksamkeit des Lesers. Denn er muss nicht nur den jeweiligen Perspektivenwechsel mitmachen. Vor dem Hintergrund des irischen Bürgerkriegs im 20. Jahrhundert werden zwar die Figuren begreifbar. Ohne geschichtliches Wissen um diesen Konflikt kann man aber die Handlung nur schwer einordnen. Umso verdienstvoller ist die chronologische Übersicht der wichtigsten Ereignisse im Anhang.
Sebastian Barry: Ein verborgenes Leben, dtv, 11,90 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom dtv zur Verfügung gestellt.