Die beiden Schwestern Sofjia und Aljona verbringen den Tag am Strand. Hier begegnen sie einem Mann, bewundern dessen neues Auto, lassen sich von ihm mitnehmen – und verschwinden spurlos. So beginnt der Roman „Das Verschwinden der Erde“ von Julia Philipps, dessen einzelne Kapitel jeweils aus der Sicht einer Frau erzählt werden. Allen gemein ist, dass sie auf der sibirischen Halbinsel Kamtschatka leben, auf die ein oder andere Weise eine Verbindung zu den verschwundenen Schwestern haben und in einer Gesellschaft leben, die von Männern geprägt und dominiert wird. Zugleich schwelen Vorbehalte gegenüber der indigenen Bevölkerung und der Öffnung Kamtschatkas, die zumindest nach Meinung der Älteren zu viele Touristen und damit fremde Einflüsse auf die Halbinsel gebracht haben.
„Wenn du nicht tust, was von dir erwartet wird, wenn du unachtsam wirst, bist du geliefert.“
Die bekannten Krimi-Zutaten – verschwundene Frauen, die Reaktion der Umgebung darauf und verschiedene Erzählstränge, die nur lose miteinander verbunden sind – spielen sich vor einer Kulisse ab, die für die meisten westlichen Leser unbekannt sein dürfte. Sibirien, die Kälte, die Weite des Landes, die Lebensart der Menschen dort – all das könnte auch aus einer Fernseh-Dokumentation entnommen sein oder eben in einer ganz anderen Weltgegend spielen. Dass sie das nicht tun, macht die Geschichte zwar ungewöhnlich und spannend. Gleichzeitig fragt man sich beim Lesen aber, weshalb die Amerikanerin ihr Romandebüt, das so offensichtlich aktuelle Themen der liberalen USA wie Gleichberechtigung, Gewalt und die Me-too-Debatte in einen komplett anderen gesellschaftlichen Kontext setzt, einen gesellschaftlichen Kontext, den die Autorin vor Ort recherchiert hat. Dennoch bleiben die einzelnen Figuren zu blass, als dass sie den Leser tatsächlich berühren könnten, vielleicht, weil der Roman keine durchlaufene Handlung hat, sondern aus einzelnen Kurzgeschichten besteht. Allen gemeinsam bleibt aber die Erkenntnis, dass Frauen überall auf der Welt mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind.
Julia Phillips legt ein Romandebüt vor, das man trotz dieser Schwächen bis zum Ende liest, weil man wissen will, wie die Geschichte endet – was sicherlich daran liegt, dass „Das Verschwinden der Erde“ einfach gut geschrieben ist.
Julia Phillips: Das Verschwinden der Erde, dtv, 22 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.