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Daniel Glattauer: Die spürst du nicht

Foto: Petra Breunig

Foto: Petra Breunig

Perfekt. So ist das Leben der Strobl-Marineks und der Binders. Die beiden Familien – also Engelbert und Melanie Binder mit ihrem Sohn Benjamin sowie Oskar und Elisa Strobl-Marinek mit ihren Kindern Sophie Luise und Lotte. Während Engelbert sich als Bewahrer der familiären Weinbau-Dynastie im österreichischen Fels am Wagram bodenständig gibt, trauert Melanie ihrem geplanten Leben als Schauspielerin nach und wird nicht müde, sich als emanzipierte Frau zu geben. Oskar Marinek ist davon überzeugt, dass ihm schon länger eine Professur an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien zusteht, weshalb er sich Forschungsprojekten widmet. Elisa Strobl-Marinek ist studierte Ökologin, eine langjährige Freundin von Melanie und erfolgreiche Grünen-Politikerin. Während die jüngeren Kinder Lotte und Benjamin gerne Zeit miteinander verbringen, fühlt sich Sophie Luise als typische Teenagerin in ihrer eigenen Welt am wohlsten und will am liebsten in Ruhe gelassen werden.

Sophie Luise hockt auf einer Steinbank und surft. Sie ist vierzehn Jahr alt, also volljährig, glaubt sie.

Sie ist es auch, die nur unter der Bedingung mit in den gemeinsamen Urlaub in eine Villa in der Toskana inklusive Swimmingpool gefahren ist, dass ihre Freundin Aayana mitkommen durfte. Das Mädchen ist ein Flüchtlingskind aus Somalia, hat zusammen mit seiner Familie in Wien Asyl bekommen und geht mit Sophie Luise in eine Klasse. Die Idee, Aayana die Vorzüge der westlichen Welt, will heißen der Welt der gehobenen Klasse, näherzubringen, passt perfekt zur Einstellung der Strobl-Marineks. Beseelt vom eigenen Sendungsbewusstsein und dem Wunsch, alles richtig zu machen, wollen sie im Grunde nur sich selber etwas Gutes tun. Doch die Idylle, die mit italienischem Essen auf der sonnigen Terrasse beginnt, endet bald in einer Katastrophe.

Man kann ein Unglück totschweigen, wie es die Binders versuchen. Man kann es aber auch zu Tode diskutieren. Darum bemüht sich Oskar.

Daniel Glattauer spielt in „Die spürst du nicht“ mit verschiedenen Erzählformen. Nach einem Einstieg, in dem die einzelnen Figuren wie in einer Bühnenanweisung eines Theaterstücks vorgestellt werden, übernimmt der allwissende Erzähler das Geschehen, unterbrochen durch E-Mails, Pressemitteilungen, Chatprotokolle und Auszügen aus Online-Kommentaren. Dadurch und weil die gesamte Handlung durchgehend in Präsens geschrieben ist, entsteht eine Unmittelbarkeit, die nicht von ungefähr an „Gut gegen Nordwind“ erinnert. Doch anders als die wunderbare Liebesgeschichte, die 2019 mit Nora Tschirner und Alexander Fehling verfilmt wurde, transportiert genau diese Schilderung der ach so perfekten Familien die Kritik an einer privilegierten Welt, in der eigentlich keine Probleme vorkommen, die sich nicht mit Geld und dem richtigen Verhalten beheben ließen. „Die spürst du nicht“ ist einer dieser Romane, den man nur schwer aus der Hand legen kann und an den man sich nach Ende der Lektüre noch lange erinnert.

Daniel Glattauer: Die spürst du nicht, Zsolnay, 25 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.

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