Theodor Hugo Hasselt ist wohl das, was man einen feinen Herren nennt. Er ist Drahtseilfabrikant im Sauerland des Jahres 1926, hochgewachsen, gut gekleidet, kultiviert und pflegt seine Eigenarten, zu denen Zehenübungen gehören. Am meisten ärgert es ihn aber darüber, dass er immer noch nur der zweitreichste Mann im Sauerland ist. Der erste Platz gehört nach wie vor seinem besten Freund, dem Sohn eines Stahlfabrikanten Albert Essenbeck. Weil das deutsch-britische Projekt „Vom Kap nach Kairo“ den afrikanischen Kontinent mit einer Eisenbahnlinie verbinden soll, reist Theodor auf die Farm von Verwandten nach Südafrika, um vor Ort mögliche Eisenbahnstrecken zu finden und entsprechende Gespräche zu führen. Hier verliebt er sich unsterblich in seine Cousine Alba, die so ganz das Gegenteil des korrekten Fabrikanten ist und mehr als einen exotischen Hauch in sein Leben bringen wird.
„Abendessen für die aufgehende Sonne aus Afrika. Nichts schien seinem kühlen Hirn ausgefallener.“
Spätestens als beide zurück in Theodors Heimat sind, wird ihm klar, dass seine Frau nicht das typischen Leben einer Frau dieser Zeit führen wird. Verkompliziert wird die Beziehung durch die mehr oder weniger offen gelebte Viererbeziehung zwischen Theodor und Alba auf der einen und Albert und dessen Frau Marthe auf der anderen Seite.
„Theodor und Afrika passte so wenig wie Sardelle an Schokolade.“
Sarah Pines Debütroman „Der Drahtzieher“ nimmt uns lesend mit in eine nach festen Regeln funktionierende Zeit, in der Exotisches wahlweise als hübsche Dekoration, als Bedrohung oder wie der Hinweis auf Karen Blixen als Neid empfunden wird. Das ist gleichzeitig faszinierend und melancholisch, weil schnell klar wird, dass Theodors geordnete Welt mit ihren Standesdünkeln im Untergang begriffen ist. „Der Drahtzieher“ ist ein Roman, der es nicht mag, wenn man ihn ein paar Tage auf Seite legt, weil man so leicht den Faden in den kaleidoskopartig aufgefächerten Szenen verliert. Wer der Geschichte seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmet, wird mit eine paar wunderbaren Lesestunden belohnt.
Sarah Pines: Der Drahtzieher, Diogenes, 24 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.