Körperliche Schocksymptome – das ist es, woran sich Kate Connolly noch gut erinnern kann, als sie am Morgen nach dem Referendum in ihrer Berliner Wohnung aufwacht. Die Britin lebt schon seit Jahren in Deutschland und ist Korrespondentin des „Guardian“. Was nicht zuletzt viele Deutsche – mich eingeschlossen – für vollkommen unmöglich gehalten hatten, war Realität: eine Mehrheit der Briten hatte am 23. Juni 2016 dafür gestimmt, die Europäische Union zu verlassen. Zu diesem Zeitpunkt war es allerdings noch vollkommen unklar, welche Auswirkungen es für Einzelne haben würde, vor allem für die, die sich im jeweils anderen Land eine Existenz aufgebaut haben und dort zum Teil seit Jahrzehnten leben. Waren sie tatsächliche Bürger eines „Niemandslandes“ wie die britische Premierministerin Theresa May einige Monate später Menschen bezeichnete, die sich als Weltbürger empfinden und sich nicht auf eine Identität oder sogar Staatsangehörigkeit festlegen wollen?
„Die Verbundenheit mit Deutschland, die ich heute empfinde, hat im Kern mit der Beherrschung der Sprache zu tun.“
Etliche Menschen wie Kate Connolly, Briten also, die in Deutschland leben, fanden darauf ihre eigene Antwort: Sie beantragten angesichts der Unsicherheit, die der Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union für ihr Leben haben könnte, die deutsche Staatsbürgerschaft, den „außer etwas Zeit und einer überschaubaren Menge Geld“ gebe es nichts zu verlieren, wie Kate Connolly in ihrem lesenswerten Buch „Exit Brexit“ schreibt. Für ihr deutsches Umfeld ist ihre neue Staatsangehörigkeit bald ein nebensächliches Detail. Typisch deutsch eben, so wie das klaglose Ausfüllen von Formularen, das frühe Aufstehen und die Pünktlichkeit.
Kate Connolly wird also Deutsche oder wie sie schreibt „Deutsch-Britin“, was nicht nur „jung und frisch“ klingt, sondern auch signalisiert, dass es etwas mit dem Brexit zu tun hat und „es mir vielleicht in gewissem Umfang erlauben (würde), mit meiner schlechten deutschen Grammatik durchzukommen“.
„Wir stehen mehr auf Sherlock als auf Tatort.“
Neben den politischen Irrungen und Wirrungen, die das Brexit-Chaos in den vergangenen beiden Jahren für sie persönlich und für ihr Heimatland mit sich gebracht haben und immer noch bringen, beschreibt die Journalistin die wunderbaren Details, die Einblick in einen deutsch-britischen Haushalt geben und die Kate Connolly als typisch für bilinguale Familien empfindet und ihr nicht nachlassendes Staunen über typisch deutsche Verhaltensweisen. Etwa, dass Deutsche anders aufs Rad steigen (also zuerst mit dem linken Fuß auf das Pedal und mit dem rechten abstoßend Schwung holen), Müll trennen und nicht unbedingt Tee mit einem Schuss Milch trinken. „Wir stehen mehr auf Sherlock als auf Tatort“, bekennt sie und fragt sich, was es denn heißt, dass sie ihr Buch auf Englisch geschrieben hat und es dann ins Deutsche übersetzt wurde.
„Exit Brexit“ ist ein wunderbares und souverän von Kirsten Riesselmann übersetztes Buch über den Weg zum deutschen Pass, das gleichzeitig einen Blick von außen auf das Deutschsein wirft. Der deutsche Leser schmunzelt, nickt – greift zum Breakfast Tea mit Milch und merkt sich „Sherlock“ wiedereinmal für den Sonntagabend vor.
Kate Connolly: Exit Brexit – Wie ich Deutsche wurde, Hanser, 19 Euro; E-Book 14,99 Euro.
Das E-Book wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.