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Ian McEwan: Lektionen

Foto: Petra Breunig

Foto: Petra Breunig

Der neue Ian McEwan ist da. Und dann ist es auch noch ein langer Roman. Ich erliege der Vorfreude, lege die Bücher, die ich gerade lese, zur Seite und fange mehr oder weniger sofort mit dem Lesen an. Denn Bücher des britischen Schriftstellers üben seit Jahren eine magische Anziehungskraft auf mich aus, ausgelöst durch den Sog, den schon die ersten paar Sätze entfalten. Bei „Lektionen“ ist das nicht anders.

„Londons Bäume aber waren so mächtig und groß wie die Queen, so dauerhaft wie die Briefkästen.“

Ian McEwan blättert neben der Lebensgeschichte von Roland Baines auch wichtige Kapitel der Nachkriegszeit auf, zu denen unter anderem der Fall der Berliner Mauer und der Brexit gehören und verwebt alles miteinander. So begegnen wir Roland 1986 in London, wo er von seiner Frau Alissa verlassen wird und jetzt sehen muss, wie er mit dem gemeinsamen Baby Lawrence zurechtkommt. Der Reaktorunfall von Tschernobyl wirft Roland auf  existenzielle Fragen zurück, aus Angst fängt er an, Wasser in Flaschen zu kaufen und er beginnt, über sein Leben nachzudenken. Von seinen Eltern – der Vater ist Offizier und in Nordafrika stationiert – in England und in einem Internat zurückgelassen, wird seine Klavierlehrerin seine Jugend, aber auch sein ganzes weiteres Leben prägen: aus Missbrauch wird eine Liebesbeziehung.

„In einem ganz losgelösten Augenblick sah er die versammelten Familienmitglieder wie auf einem alten Foto.“

Später findet er mit Daphne eine andere große die Liebe, kann stabile Beziehungen zu seiner Familie aufbauen und sich letztlich auch mit dem abfinden, was er erreicht oder vielmehr nicht erreicht hat. Doch Roland bleibt im Grunde immer ein Fragender, auf der Suche nach dem Glück.

„Lektionen“ ist ein Rundumschlag, der sich mit dem ganz normalen Leben, seinen Höhen und Tiefen beschäftigt und damit, was uns eigentlich wichtig ist und uns glücklich macht. Das ist auf 708 Seiten meistens spannend, unterhaltend, tröstlich und nur gelegentlich langatmig. Deutsche Leser werden die Abschnitte, die sich mit der eigenen Geschichte beschäftigen, nicht unbedingt nur aus Dokumentationen kennen. Und vielleicht ist der ein oder andere genauso erstaunt darüber, dass die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ in Großbritannien eher unbekannt ist. Vertraut hingegen dürften Großbritannien-Fans Anspielungen sein wie die auf die Soap „Coronation Street„, auf Gedichte oder auf die Stromspitze, die immer dann zu beobachten ist, wenn gefühlt alle Briten in einer Werbepause gleichzeitig den Wasserkocher für eine Tasse Tee anschalten.

„Muss ich dir wirklich erklären, wie man ein Buch liest? Ich borge mir hier was und da. Ich erfinde. Ich schlachte mein eigenes Leben aus.“

Wie vom Diogenes-Verlag gewohnt, ist die Übersetzung von Bernhard Robben wunderbar flüssig, Hinweise auf literarische Vorlagen sind im Anhang erklärt. Es sei lediglich der Hinweis erlaubt, dass Heinrich Eberhardt im bayerischen Murnau nicht Mitglied der CDU, sondern nur der CSU sein kann.

Ian McEwan: Lektionen, Diogenes, 32 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.

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