Immer dann, wenn die Tage angenehm warm werden, kommen alte Bekannte zu Besuch. Die alten Bekannten, das sind in diesem Fall Commissario Guido Brunetti, seine Familie und seine Kollegen, denen wir im mittlerweile 29. Fall in einer unerträglichen sommerlichen Hitze Venedigs wieder begegnen. Es geht natürlich um einen Todesfall, um eine alte Dame und um die ewige Frage, ob es ein Unfall oder Mord war, doch es wäre nicht Brunetti, wenn es nicht eigentlich um etwas anderes gehe würde.
Venedig, die gleichermaßen schöne wie morbide Stadt, wunderschönes und bewahrenswertes Weltkulturerbe, leidet nicht so sehr unter der Hitze, die Einheimische mit stoischer Ruhe und weit geöffneten Fenstern zu ertragen gelernt haben.
Venedig leidet unter den Touristen, die in Scharen einfallen und nicht nur die kleinen Straßen und Gassen verstopfen. Seit es in Mode gekommen ist, die Welt bequem in riesigen Kreuzfahrtschiffen zu erkunden, legen diese natürlich auch in Venedig an und bringen nicht nur Besucher. Die Schiffe verursachen Wellen, die die Fundamente der auf Pfählen errichteten Stadt aushöhlen und mit zu ihrer Zerstörung beitragen.
„Brunetti selbst hatte etwas gegen Klimaanlagen, weil er von Kindesbeinen an gelernt hatte, Hitze zu ertragen. Hitze und manches andere.“
Während Donna Leon selbst nicht mehr in Venedig wohnt – wohl auch, weil sie die Veränderung der Stadt durch den Massentourismus nicht länger ertragen konnte – und nicht mehr unter der Hitze der Stadt leiden muss, bleibt Brunetti der, er er immer war. Zusammen mit der Sekretärin Elettra, die sich mit jedem neuen Fall mehr zu einer Hackerin in Designerklamotten entwickelt und seinem langjährigen Kollegen Vianello und der immer mehr geschätzten Claudia Griffoni versucht er, sich dem Verbrechen entgegenzustellen, wohl wissend, dass das eine mindestens so langwierige wenn nicht lebensfüllende Aufgabe ist wie das Lesen der griechischen Klassiker.
Wichtig bleibt für ihn das, worauf er sich immer verlassen kann: seine Frau Paola, mit der er genauso über Bücher wie über aktuelle politische Probleme plaudern kann und die zusammen mit den Kindern Chiara und Raffi der ruhende Pol in seinem Leben ist – und gutes Essen.
„Geheime Quellen“ thematisiert wie sein Vorgänger „Ein Sohn ist uns gegeben“ Umweltverschmutzung und Massentourismus, Bestechung und Geldgeschäfte. Dass es auch um Liebe und Eifersucht und natürlich um die Aufklärung eines Todesfalls geht, das geht in den diversen Erzählsträngen fast verloren und es scheint so, als hätte das Donna Leon beim Schreiben etwas aus den Augen verloren. Auch wenn die Commissario-Brunetti-Romane noch nie dem Muster klassischer Mord-und-Totschlag-Krimis gefolgt sind und mehr Wert auf bedächtiges Vorgehen gelegt und so ihren ganz eigenen Reiz entwickelt haben, so kommt dieser 29. Fall noch behäbiger und langsamer daher als so mancher seiner Vorgänger. Das macht ihn wohl nur für Fans, die wissen wollen, wie es mit ihrem Commissario weitergeht, zu einem Lese-Muss.
Donna Leon: Geheime Quellen. Diogenes, 24 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.