Eine schier überbordende Familiengeschichte, ja Familiensaga entfaltet sich auf 944 Seiten, inklusive eines Glossars jiddischer Begriffe und dem Stammbaum der Meijers. Denn es ist nicht ganz so einfach den Überblick über die Geschichte dieser schweizer Familie jüdischen Glaubens zu behalten.
„Man muss sich anpassen. Vorangehen, nicht hinterschleichen.“
Eine Geschichte, die von 1871 bis 1945 reicht, und den Leser teilhaben lässt an jüdischen Sitten und Gebräuchen, dem Leben in einer Kleinstadt, Heiratsvermittlungen und dem Handel mit feinem Tuch – ein Beruf, den Janki ergreift und der darin so erfolgreich ist, dass sein Sohn zum Besitzer eines großen Kaufhauses in Bern wird. Arthur ist schon als kleiner Junge vom menschlichen Leben fasziniert und wird Arzt. Und dann gibt es natürlich die Damen der Familie, die mal glücklich verheiratet sind, mal wie Mimi so theatralisch daherkommen, dass sie sich ganz sicher in einer länglichen Netflix-Serie gut einfügen würden.
„Chaje Sore Wasserstein war beleidigt, nicht aus irgendeinem konkreten Grund, sondern prinzipiell.“
Wie Wetterleuchten am Horizont, so tauchen immer wieder weltpolitische Ereignisse auf, deren Auswirkungen auf die Familienmitglieder nicht immer klar sind. Denn egal, wo es die Meijers hin verschlägt – allen gemeinsam ist ihr Bewusstsein für den Antisemitismus in der Schweiz, der mal mehr mal weniger offen und feindselig zu Tage tritt.
Charles Lewinksys „Melnitz„, der jetzt neu bei Diogenes erschienen ist, macht es dem Leser nicht leicht. Das liegt nicht an dem Umfang, sondern an der schieren Fülle der Figuren und Handlungen, die ein regelmäßiges, am besten tägliches, Weiterlesen fordern. Bleibt man dran und schaut regelmäßig bei den Meijers vorbei, wird man das Sittengemälde schätzen lernen.
Charles Lewinsky: Melnitz, Diogenes, 25 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.
Die Taschenbuchausgabe ist bei dtv erschienen.