Da steht diese Frau. Sie trägt einen langen Rock, eine weiße Bluse unter dem kurzen Jäckchen und einen Hut (oder sind die Haare nur kunstvoll drapiert?). 1913 kehrt Daisy Bates nach Australien zurück, wo sie vor Jahren schon einmal gelebt hat und bleibt dort für die nächsten knapp 30 Jahre. Sie verlässt ihre Familie und lebt mit den Aborigines, lernt ihre Lebensweise kennen und wird von ihnen „Kabbarli“, Großmutter, genannt.
„Und dort sitzt sie nun, lebt inmitten dieser rastlosen Verwirrung und füllt die Seiten des ersten ihrer zahllosen Notizhefte, eine Gewohnheit, die sie nie wieder aufgeben wird, auch, als sie längst nicht mehr in der Wüste lebt.“
In einer Mischung aus Biografie, Meditation und Roman nähert sich die englische Schriftstellerin Julia Blackburn der historischen Daisy Bates. Weil diese überzeugt davon war, dass es die australischen Ureinwohner bald nicht mehr geben wird, versucht sie, so viel wie möglich in zahlreichen Notizbüchern festzuhalten.
„Daisy Bates in der Wüste“ ist eine Werk, dessen Reiz sich erst dann entfaltet, wenn man nach der ersten Irritation erkennt, mit welcher Mischung man es zu tun hat. Nicht von ungefähr findet man weder „Roman“ noch „Erzählung“ oder „Biografie“ auf dem Umschlag des 252-seitigen mit einer Bibliografie versehenen Taschenbuchs. Denn Julia Blackburn füllt historische Lücken mit fiktiven Erzählsträngen und versetzt sich gleichzeitig in die historische Figur. Herausgekommen ist ein ungewöhnliches Experiment, auf das man sich ohne Vorbehalte einlassen sollte.
Julia Blackburn: Daisy Bates in der Wüste. Unionsverlag, 13,95 Euro.
Das Taschenbuch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.