Man kann dem deutschen Fernsehen so einiges vorwerfen. Aber immerhin schaffen es die Verantwortlichen bei ZDF Neo echte britische Glanzstücke der Unterhaltung ins Vorabendprogramm zu verbannen, vielleicht darauf hoffend, dass nur wenige Zuschauer einschalten. Diese wenigen aber treffen dort unter anderem auf „Der junge Inspektor Morse“. Ursprünglich als Prequel zu dem auf den Insel sehr bekannten „Inspektor Morse“ gedacht, hat die Serie mittlerweile aber einen ganz eigenen Status erreicht. Und wirklich: ist man erst einmal dem Charme der in der 60er Jahren in Oxford spielenden Krimiserie erlegen, kann man sich ihr nur schwer entziehen.
Das liegt allen voran natürlich an Shaun Evans, dessen Morse zu Beginn des Pilotfilms nach Oxford abgeordnet wird. Es ist für ihn eine Rückkehr, denn wie wir nach und nach erfahren, hat er dort studiert, kennt sich also in der von Colleges und Geisteswissenschaftlern geprägten Stadt aus.
„Sie werden es als Detective nicht weit bringen, wenn Sie nicht bereit sind, dem Tod ins Auge zu schauen.“
Und hier ist es auch, wo er auf die Kollegen trifft, die seine berufliche Entwicklung begleiten werden – sei es als skeptischer Kritiker (Chief Superintendent Reginald Bright/Anton Lesser), als offen feindseliger Kollege (Detective Sergeant Peter Jakes/Jack Laskey) oder als Pathologe, der schon alles in seinem Leben gesehen hat (Dr. Max DeBryn/James Bradshaw). Prägend ist aber der väterlich fürsorgliche Vorgesetzte Detective Inspector Fred Thursday, kongenial verkörpert von Roger Allams, dessen trockener Humor und jahrelange berufliche Erfahrung den so ganz anders tickenden Morse immer wieder bremsen und gleichzeitig fördern. Denn natürlich erkennt Thursday im unerfahrenen, manchmal unbeholfenen (das englische Wort „awkward“ trifft es genauer) Morse einen hochintelligenten und begabten Ermittler, den es zu fördern und zu beschützen gilt.
„Es gibt eine offizielle Richtung, in die wir ermitteln, Morse. Gedichtbände kommen darin nicht vor.“
Morse (dessen Vorname Endeavour der ITV-Serie ihren Originaltitel gibt) ist vom ersten Moment an eine Figur, die fasziniert. So unscheinbar und unerfahren dieser junge Mann ist, so offenbart sich doch bald ein ganz wunderbarer, zutiefst menschlicher und hochintelligenter Charakter, der ein kindliches Staunen zeigt, als würde er alles zum ersten Mal sehen. Shaun Evans‘ zurückgenommene, langsame Art gibt Morse eine Glaubhaftigkeit, die in jeder so unterschiedlichen Situationen – sei es am Fundort einer Leiche (wo er sich regelmäßig abwendet), bei den obligatorischen Pub-Besuchen (wo er zunächst Alkohol ablehnt) oder beim Hören klassischer Musik (in der er nicht nur wegen der Lautstärke komplett aufgeht) überzeugt.
„Die Frage, die Sie sich stellen müssen ist: Wo sehen Sie sich in 20 Jahren?“
Es wäre keine britische Fernsehserie, wenn Sets, Kostüme und Details nicht liebevoll ausgesucht und arrangiert wären. Und weil „Morse“ in den 1960er Jahren spielt, bekommt man eine gehörige Portion Retro-Charme mit, dem man sich nicht entziehen kann. Genauso wenig wie den so typischen britischen Eigenheiten inklusive Pub-Besuchen, dem pittoresken Innenhöfen der Colleges inklusive schrulliger Gelehrten. Weil sich die Charaktere über die einzelnen Folgen hinweg entwickeln, immer mehr Details über die jeweiligen Biografien erzählt und die Beziehungen zueinander immer ausgeprägter werden, entfaltet „Morse“ einen Sog, dem man sich dank DVDs getrost hingeben kann.
Wer vorher noch nie etwas von Inspektor Morse gehört, gelesen oder gesehen hat, wird trotzdem schnell hineinfinden. Ich selbst habe erst mit der sechsten Staffel angefangen, komplette Folgen zu schauen.
Der junge Inspektor Morse. Mehrere Staffeln und Folgen zu je eineinhalb Stunden. DVDs bei Edel Motion mit deutscher und englischer Tonspur und deutschen Untertiteln, teilweise Extras, ab ca. 10 Euro.
⭐⭐⭐⭐⭐⭐
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