Ingke Brodersen: Lebewohl, Martha

Berlin, Berchtesgadener Straße 37, vierter Stock. Hier wohnte bis 1942 Martha Cohen – bis sie von den Nationalsozialisten verschleppt und ermordet wurde. Als die Historikerin Ingke Brodersen 1991 mit ihrer Familie hier einzieht, stellt sie sich bald die Frage nach früheren Bewohnern – eine Frage, die sich manch anderer auch stellen mag, angesichts eines neuen Zuhauses, das schon etliche Zeitläufte erlebt hat. Ingke Brodersen beginnt – ganz Wissenschaftlerin – zu suchen und findet nach akribischer Arbeit die Namen der 24 jüdischen Bewohnern, für die dieses Haus, in dem Ingke Brodersen jetzt lebt – ihre letzte Adresse war, bevor sie in Konzentrationslager deportiert wurden.

„Die Wohnung, in der Martha, Clara und Bertha die letzten Jahre ihres Lebens verbrachten, ist unser Zuhause.“

In „Lebewohl, Martha“ sind die Schicksale dieser Menschen versammelt, aber auch zahlreiche geschichtliche Hintergründe. Dazu gehört unter anderem, dass der britische Botschafter in Berlin, Sir Neville Henderson, sein Ministerium darüber informierte, dass die Nazis nach dem Attentat auf den Botschaftsrat Ernst von Rath vom 9. November 1938 keinem Lehrer und Schüler mehr zumuten wollten „to sit in the same class with Jews“. Nach den Pogromen vom 9. auf den 10. November 1938 organisierten die Briten ab 1938 bis zum Kriegsbeginn 1939 Kindertransporte, an denen wiederum Rabbiner Leo Baeck, Präsident der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ beteiligt war.

Zwar sind diese abscheulichen Ereignisse bekannt. Dennoch macht die Beschreibung dieser Einzelschicksale betroffen, weil Ingke Brodersen den Vertriebenen und Ermordeten Namen und letztlich ihre Identität wieder gibt. Genau das macht „Lebewohl, Martha“ nicht nur zu einem wichtigen Zeitdokument, sondern auch zu einer Aufforderung, sich mit diesem Kapitel der deutschen Geschichte zu beschäftigen.

Ingke Brodersen: Lebewohl, Martha. Die Geschichte der jüdischen Bewohner meines Hauses. Kanon, 26 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.

 

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