Ian McEwan: Der Bauch des Wals

Soll man Stellung beziehen, sich zu aktuellen Ereignisse äußern, sich in Auseinandersetzungen begeben, die nicht nur in diversen Internetblasen heftig werden können? Oder soll man sich zurückziehen, sich abschotten von meist negativen Themen? Das sind im Grunde die Fragen, mit denen sich Ian McEwan in der jetzt erstmals in Buchform greifbaren Rede „Der Bauch des Wals“ (The Orwell Memorial Lecture, 2021) beschäftigt. Er nimmt darin Bezug auf George Orwell, der 1940 den Essay „Im Innern des Wals/Inside the Whale“ schrieb. Darin verteidigte Orwell das Recht des Schriftstellers, sich in den Bauch des Wals zurückzuziehen, sich eben nicht zu aktuellen Ereignissen äußern zu müssen, sich gleichsam von der Welt abzuwenden.

„…selbst innerhalb des Wals gibt es ultraschnelles Internet.“

Sowohl Orwell, als auch McEwan sind politische Autoren, die sich durchaus zu den Problemen ihrer Zeit äußerten und äußern. Daher ist es zunächst überraschend, dass beide Schriftsteller quasi über die Zeiten hinweg der Meinung sind, dass jeder, also auch Schriftsteller, die Freiheit haben, sich zurückzuziehen und sich nicht zu äußern. Weshalb sollte schließlich für einen etwas gelten, was für andere nicht möglich sein sollte?

„Schriftsteller, die sich weigern, uns zu sagen, was sie denken oder was wir denken sollen, müssen die Freiheit haben, genau das zu tun.“

Der Bauch des Wals“, das sowohl George Orwells Essay als auch Ian McEwans Rede vereint, ist ein Denkanstoß, den man möglicherweise mehrfach zur Hand nehmen und die ein oder andere Passage noch einmal lesen muss. Zu dicht und zu nachdenkenswert sind die Ausführungen beider englischer Schriftsteller. Und was Ian McEwan betrifft, kann sich das Publikum sicher sein, dass sich der mehrfach ausgezeichnete Autor auch weiterhin politisch äußern wird, schließlich, so schreibt er auf seiner eigenen Internetseite, frage sich der Schriftsteller, was er machen könne. „Darauf gibt es nur eine Antwort: schreiben.“

George Orwell & Ian McEwan: Der Bauch des Wals. Zwei Essays über Kunst und Politik. Diogenes, 22 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.

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