Robert Harris: Abgrund

Ein älterer Mann hat eine Affäre mit einer deutlich jüngeren Frau. Beide gehören der oberen Gesellschaftsschicht Londons an. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, auch nicht im Sommer des Jahres 1914. Doch der Mann ist der britische Premierminister Herbert Henry (H.H.) Asquith.

„Nur hinter einem einzigen Namen stand keine Adresse. Hinter dem von Venetia Stanley.“

Und er holt die 26-jährige Venetia Stanley nicht nur mit seiner Limousine ab. Er teilt auch Staatsgeheimnisse mit ihr, diskutiert sie – und wirft schon mal ohne Bedenken als geheim eingestufte Telegramme aus dem Fenster des Autos. Mehr noch: Er schreibt ihr Briefe aus Kabinettssitzungen heraus, in denen die militärische Strategien zu Beginn des Ersten Weltkriegs diskutiert werden – die oft einzigen historischen Quellen, die Einsicht in den inneren Zirkel der damaligen britischen Regierung geben.

„Seine (des Premierministers) Vorliebe für die Gesellschaft junger Frauen war allgemein bekannt, und sie hatten ihn sicher oft genug mit ihr zusammen gesehen.“

Aus Angst vor möglichen deutschen Spionen lässt Scotland Yard die intensive Korrespondenz abfangen und beauftragt den junge Detective Sergeant Paul Deemer alle Briefe zu lesen und zu kopieren.

„Passanten haben ein paar interessante Sachen abgegeben.“

Robert Harris mischt in „Abgrund“ aus diesen historischen Geschehnissen (Paul Deemer ist eine fiktive Figur) einen Politthriller, den man kaum aus der Hand legen kann. Das liegt zum einen daran, dass die Figuren Venetia Stanley und HH Asquith und ihre Beziehung zueinander auf historischen Tatsachen beruhen. Robert Harris konnte die Briefe Asquiths einsehen (die von Venetia wurden vernichtet) und durfte sie teilweise wörtlich im Roman zitierten. Zum anderen ist Robert Harris nicht nur ein großer Geschichtenerzähler; als Journalist weiß er auch, wie er einen Roman aufbauen muss, um Spannung von Anfang aufzubauen und über 505 Seiten zu halten. 505 Seiten, die absolut empfehlenswert sind.

Robert Harris: Abgrund, Heyne, 25 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.

 

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