Ida verlässt die Wohnung in der Fröhlichstraße 37 für immer. Ihre Mutter ist gestorben und so gibt es für sie keinen Grund mehr, hier zu bleiben. Sie macht sich eher planlos auf nach Rügen, wo sie auf den Kneipenbesitzer Knut trifft. Er und seine Frau Marianne nehmen Ida wie eine Tochter bei sich auf und geben ihr die Zugehörigkeit zu einer Familie, die Ida nie hatte. Diese fühlt sich in der rauen Inselwelt, die von der Ostsee geprägt ist wohl – genießt es, bei jedem Wetter im Meer zu schwimmen. Dann trifft sie Leif, der ebenso selbstverständlich bei Marianne und Knut ein und aus geht.
„Wir schwimmen ins offene Meer, ich tauche so tief, bis es wehtut.“
Caroline Wahls zweiter Roman „Windstärke 17“ setzt die Geschichte von Ida und Tilda – die eine Randfigur bleibt – fort und die jüngere Schwester Ida in den Mittelpunkt. Wie in „22 Bahnen“ schafft die Ich-Erzählerin eine unmittelbare Nähe zu Ida, ihren Gefühlen und Ängsten. Hier wie dort ist das Wasser ein verbindendes Element, das in Form der Ostsee, die wilde Ursprünglichkeit verkörpert, in die sich Ida bei jedem Wetter hineinwirft und schwimmend gegen sie ankämpft.
„Ich: Was ist mit deinen Eltern?
Leif: Sind scheiße
Leif: Kaffee?
Ich: Ja.“
Die Fortsetzung von „22 Bahnen“ ist zweifellos berührend und lesenswert. Leider kann Caroline Wahl nicht ganz an ihren Debütroman anknüpfen. Das liegt nicht daran, dass man sich am Schicksal von Ida und Tilda sattgelesen hätte oder weniger Anteil nehmen würde. Ist die sehr reduzierte, an Theaterstücke erinnernde Sprache, in der Caroline Wahl in der Ich-Perspektive erzählt und ganz gezielt Markennamen einsetzt, um Figuren zu charakterisieren, in „22 Bahnen“ nicht nur ungewöhnlich, sondern auch witzig und treffend, so ist sie in „Windstärke 17“ bisweilen übertrieben bis penetrant – und nicht immer konsequent.
„Ich schaue der weißen Eszet-Schnitte auf meinem Brötchen beim Schmelzen zu.“
Weshalb hat Ida zwar ein MacBook und AirPods (mit deren Hilfe sich im Zug die Musik eines anderen Mitreisenden hört – natürlich verbinden sich die Gerätschaften problemlos) aber kein iPhone, sondern „nur“ ein Handy? Und weshalb bleibt der marineblaue Hartschalenkoffer, mit dem Ida ihr Zuhause verlässt, markenlos? Gegessen wird auch hier regelmäßig, seien es Nutella-Brote oder Botinchen-Eis, Laugen- und Käsedreiecke, Brötchenhälften mit Eszet-Schnitten, Paradiescreme und Vanillepudding – alles mit der Absicht, gemeinsame Mahlzeiten als verbindendes Element zu zelebrieren. Das aber ist nicht immer gelungen, wirkt in der Häufigkeit zu künstlich und zu gewollt.
Wenn Caroline Wahls Romane um die beiden Schwestern Ida und Tilda vergleichbar sind mit einer Fernsehserie, dann hat diese zweite Folge ihre Durchhänger, die man deswegen in Kauf nimmt, weil die Figuren zu interessant sind, als dass man nicht wissen möchte, wie es mit ihren weitergeht. Vielleicht in der Hoffnung, dass eine mögliche dritte Folge wieder Fahrt aufnehmen möge.
Caroline Wahl: Windstärke 17, Dumont, 24 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.