Sie ist Mitte fünfzig und freiberufliche Journalistin. Willa versucht sich zu entscheiden, wo sie ihr Büro einrichten will. Natürlich ihr Arbeitszimmer, denn sie ist sich sehr wohl bewusst, dass sie es in ihrem Alter schwer haben wird auf dem Arbeitsmarkt, zumal sie keine Aufträge hat.
„Dass der Rest ihres produktiven Lebens von einem Tag auf den anderen gestrichen worden war, fühlte sich an wie eine Amputation.“
Als sein College schließt, verliert ihr Mann Iano seine unbefristete Stelle und die Familie – die beiden haben einen Sohn und eine Tochter – ihr an das Beschäftigtenverhältnis gekoppeltes Haus. Dass sie eines in New Jersey erben, könnte ein Glücksfall sein, doch es ist baufällig und ein Renovierung würde Geld verschlingen, dass sie nicht haben. Der einzige Ausweg: nachweisen, dass das alte Haus von historischem Wert ist.
„Es war Mrs Treat in einem dunkelblauen Kleid, die auf dem Bauch auf dem Boden lag.“
Willa macht sich ans Recherchieren und tatsächlich findet sie heraus, dass die Naturforscherin Mary Treat, die in regem brieflichen Kontakt mit Charles Darwin stand, vor 150 Jahren hier in Vineland gelebt hat.
„Mary blieb oft stehen, um ihm ihre Lieblinge, die fleischfressenden Pflanzen, zu zeigen und einzelne Exemplare zu sammeln.“
Barbara Kingsolver erzählt in „Die Unbehausten“ im Wechsel zwischen den beiden Zeitebenen nicht nur die Geschichte der Menschen damals und heute. Sie erzählt auch die Geschichte Amerikas, die sich in diesem Fall liest wie der Verfall einer Gesellschaft. Nicht von ungefähr sind Willa und Iano hauptsächlich damit beschäftigt, ein Haus über dem Kopf zu behalten und die Familie zu ernähren. Eine Familie, die damit zurechtkommen muss, dass der alleinerziehende, überforderte Sohn und die Tochter, die ihr Studium abgebrochen hat, wieder eingezogen sind. Und zu allem Überfluss lebt auch Ianos schwerkranker Vater bei ihnen.
„Mrs Treat saß nicht einfach da und hielt den Finger auf eine Zeile in dem aufgeschlagenen Buch. Nein, sie ließ ihre Fingerspitze von einer fleischfressenden Pflanze verdauen.“
Was klingt wie eine überfrachtete Handlung ist so detailliert und interessant geschrieben, dass man von Anfang an nicht nur in der Geschichte ist, sondern Anteil nimmt am Schicksal der Figuren und den Roman nur ungern aus der Hand legt.
Wer die Bücher von Claire Lombardo mag, wird sich mit diesem Roman von Barbara Kingsolver genauso gern für einige Lesestunden zurückziehen.
Barbara Kingsolver: Die Unbehausten, dtv, 26 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.