Stephan Schäfer: 25 letzte Sommer

Manchmal treffen selbst absolut durchgetaktete und organisierte Menschen Entscheidungen, von denen sie hinterher nicht erklären können, weshalb sie sich so und nicht anders entschieden haben. So wie der namenlose Ich-Erzähler, der das Leben eines beschäftigten, gehetzten, modernen Menschen führt, der am liebsten mehrere Dinge gleichzeitig tut und im Grunde immer beschäftigt ist. Er genießt unter der Woche das städtische Leben und kann es sich leisten, die Wochenenden in einem Haus auf dem Land zu verbringen, meist zusammen mit seiner Familie. Weil er an diesem Wochenende aber alleine in diesem Haus ist, entschließt sich der Ich-Erzähler, frühmorgens laufen zu gehen, nur um festzustellen, dass seine Gedanken um die Aufgaben in der bevorstehenden Woche kreisen, er eigentlich nicht abschalten kann.

“Auf die Idee, frühmorgens schwimmen zu gehen, kam ich nie.”

Um diesen Kreislauf zu durchbrechen und weil er gelesen hat, dass man dafür spontan etwas Ungewohntes machen soll, läuft er zum nahe gelegenen See, statt wie bisher einfach daran vorbei zu laufen. Hier trifft er auf Karl, dem er ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten völlig offen begegnet – und nimmt dessen Einladung, zum Frühstück auf seinen Bauernhof zu kommen, an.

“Ich bin Karl (…) wir sind uns noch nie begegnet, oder?”

Wie sich herausstellt, hat Karl den Hof vor 30 Jahren gekauft, er baut Kartoffeln an und seine Frau gibt Reitunterricht. Zusammen haben sie fünf Kinder und zehn Enkelkinder. Aus dieser überraschenden Begegnung und diesen ersten Gesprächen entwickelt sich eine Freundschaft, in dessen weiteren Verlauf die beiden Männer über das reden, was ihnen wirklich wichtig ist im Leben.

“Ich war einer dieser Menschen, die jede Minute ihres Lebens fruchtbar verbrachten.”

Stephan Schäfer legt mit “25 letzte Sommer” eines dieser Bücher vor, die einen von der ersten Seite an mit der wärmenden Umarmung einer Kuscheldecke einladen, mehrere Stunden zu ver-lesen und zumindest für die Dauer der Lektüre Abstand zu nehmen vom Alltag, der für viele von uns immer hektischer wird. Ähnlich wie Matt Haig, der uns in so wunderbaren Büchern wie “The Comfort Book” oder “Mach‘ mal halblang” gleichsam den Spiegel vorhält und uns auffordert, mehr auf unsere Bedürfnisse zu achten, ist Karl die innere Stimme, die uns zu einem vernünftigen Umgang mit unseren eigenen Ressourcen mahnt. Dass das ohne erhobenen Zeigefinger und ohne moralisierende Ratschläge auskommt, ist dem Können Stephan Schäfers zu verdanken. Eine wunderbare Neuentdeckung und eine absolute Leseempfehlung.

Stephan Schäfer: 25 letzte Sommer, Ullstein, 22 Euro.
Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Verlag zur Verfügung gestellt.

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